Stina Wrede (Jg. 11) reiste vor den Herbstferien nach Felnac (Rumänien), um u.a. die durch die SV am GaT gesammelten Sachspenden zu übergeben. Ihre vielfältigen Eindrücke schildert Sie in diesem Bericht.
„Fünf Tage Rumänien – ein Einblick in den Alltag des Roma-Dorfes Felnac
In diesem Bericht schreibe ich über meine kurze Reise nach Rumänien. Bei dieser Reise übergaben wir die gesammelten Sachspenden und bekamen vor Ort eigene Eindrücke der Situation.“
Felnac ist ein kleines Dorf/ abgegrenztes Viertel, etwa 20 Minuten entfernt von der Stadt Arad. In dem Dorf leben Menschen, die aufgrund ihrer Volksgruppe Roma von der dortigen Gesellschaft ausgeschlossen und abgestoßen werden. Die Umstände in denen die Menschen dort leben sind anders als unsere – um Welten anders. Da die Menschen kaum genug Geld haben um ihre Kinder zu ernähren oder ihnen eine Schulausbildung zu finanziere, wohnen sie folglich auch nur in den einfachsten Lehmhütten und haben meistens keinen Wasseranschluss, geschweige denn Strom.
Diese Missstände werden schon seit mehreren Jahren nicht mehr ignoriert. Die Organisation „Oase des Lebens“, welche über eine freie-christliche Gemeinde läuft, hat in Felnac schon einiges bewegt und verändert. Ihr Ziel ist es, den „geistigen, sowie auch den natürlichen Hunger zu stillen“. Umgesetzt wird dies durch Spendenaufrufe, Geld- und Sachspenden aller Art. In vielen Städten aus Deutschland wird gespendet, wie auch in Emden. Hier leitet die frei-christliche Babtisten Gemeinde die Organisation und Kommunikation nach Rumänien und durch einen Zeitungsartikel bekam auch ich etwas mit von der Aktion.
Eine Sachspendensammelaktion eignete sich, wie sich herausstellte, perfekt an unserer Schule. Etwa zwei Wochen vor der ersten Abgabe der Sachspenden teilten wir mit der SV Informationszettel mit Inhalten über die Aktion aus, erstellten Plakate und standen ab dem Zeitpunkt in bestimmten Pausen zur Annahme der Spenden zur Verfügung. Trotz der kurzen Zeit sammelte sich schnell Einiges an. Die Sachspenden wurden dann zur Babtisten-Gemeinde transportiert und dort mit vielen anderen Spenden, welche in der Gemeinde zusammen kamen, in einen Anhänger getan. Alle Spenden konnten auf der nun bevorstehenden Reise nicht einmal mitgenommen werden, weil nicht alle in den Anhänger passten. Bei der nächsten Fahrt werden sie selbstverständlich mitgenommen, doch nun mussten erstmal diese runtergefahren werden.
Als ich Peter Müller kennen lernte, erst flüchtig am Telefon und dann später bei der ersten Übergabe der Sachspenden, erzählte er von seinen letzten Besuchen in Rumänien, den bevorstehenden Arbeiten, den Kindern und der Situation. Ohne jegliche Erwartungen fragte ich, ob ich ihn und die anderen eventuell begleiten könnte nach Rumänien. Ich könnte ein wenig der Menschen, die Region und die Situation selbst sehen und erleben, selber ein bisschen direkte Hilfe leisten, eine solche Chance würde sich erst später wieder anbieten. Peters Reaktion war ein sofortiges „Ja gerne, einen Platz haben wir noch frei!“ und damit hatte ich sein Einverständnis. Für meine Eltern war der zukünftige Schulausfall kein Problem und nach einem kurzen Gespräch mit Herrn Tapper, der den Antrag der Reise genehmigte, stand die Reise fest.
Freitag nachmittags ging es los. Zu fünft ging es im Wohnmobil mit Anhänger quer durch Deutschland, über Wien, durch Ungarn nach Rumänien. Die Stadt Arad, in der wir freudig empfangen wurden liegt gleich im Osten Rumäniens, so kamen wir am Samstagabend wohlbehalten an. Unser Schlafplatz für die kommende Woche war das Wohnmobil mit dem wir gekommen waren und eine Matratze im Büro des Gemeindehauses in Arad. Über Nacht parkten wir das Wohnmobil auf dem Vorplatz der Gemeinde, der genau wie alle anderen Grundstücke und Häuser mit einem Tor und einem Gitter von der Straße abgetrennt. Durch die vielen armen Menschen, die sich nicht nur in Felnac, sondern auch in Arad leben, ist Diebstahl logischerweise ein ständiges Problem. Reiche Leute mit einem schönen Haus und Weinreben über der Terrasse haben dann beispielweise Nachbarn, diein einer selbstgemauerten minikleinen Hütte leben, auf der Stöcke und Lacken als Dach liegen. Solche unterschiedliche Verhältnisse werden in Deutschland eigentlich nicht geduldet und verbessert, wenn es aber mal der Fall sein sollte, dass dies nicht passiert werden diese Gebiete klar räumlich voneinander abgegrenzt, der Grund warum wir nicht allzu oft mit derartigen Problemen konfrontiert werden.
Den Sonntag begannen wir in Felnac, wo wir den Gottesdienst besuchten. Die Gemeinde in Felnac ist ganz am Rand des Dorfes und so fuhren wir auf den schlechten Kieswegen erstmals durch den Ort. Auf dem Weg bis zur Gemeinde wurde uns freundlich gewunken, einige Kinder rannen neben her und gaben uns schüchtern die Hand zur Begrüßung als wir aus dem Wohnmobil stiegen. Wir gingen in die Gemeinde zum Sonntagsgottesdienst, stellten uns vor und sangen ein Lied. Die Kinder hatten biblische Psalme auswendig gelernt und sagten sie in Laufe des Gottesdienstes auf.
Nach dem Gottesdienst kamen die Kinder sofort auf uns zu, nahmen uns bei den Händen und grinsten. Irgendwie versuchten wir uns gegenseitig zu verständigen, bis es letztendlich darauf hinaus lief, dass wir gemeinsam ein Spiel spielten. Nach dem Spiel versammelten sich alle Kinder vor dem Tor der Gemeinde, Florina stand in der Mitte. Es ging darum wer mit ihr und Ovi mit nach Arad kommen durfte und so wurde uns ein Teil der Verteilung der Sachspenden erklärt:
Die Sachspenden, die nach Rumänien gebracht werden, werden zunächst auf einen privaten „Hinterhof“ von Ovi gebracht. Dort werden sie ausgeladen, ausgepackt und sortiert. Die meisten der Kleidungsstücke werden in sinnvollen Kombinationen wieder in Tüten gepackt und bei dem nächsten Besuch in Felnac an die Leute verteilt. Andere Kleidungsstücke verkaufen Ovi und Florina in ihrem Second Hand Laden und bezahlen von dem Geld, welches sie hier einnehmen, neue Baumaterialien, die für Häuser in Felnac benötigt werden. In diesem Second Hand Laden haben jeden Sontag zehn verschiedene Kinder die Möglichkeit sich alles an Kleidung rauszusuchen und mitzunehmen was sie möchten. Diese zehn Kinder werden Sonntags nach dem Gemeindegottesdienst von Florina ausgesucht und nach Arad gebracht, der Grund warum sich alle Kinder um sie herum versammelten.
Als Ovi und Florina das „Tüten verteilen“ das erste mal machten, erzählte er, wurden ihnen die Tüten aus den Händen gerissen weil die Dorfbewohner so gierig waren. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass diese „Gier“ keinesfalls zu verachten oder negativ zu bewerten ist. Die Menschen dort haben nichts und aus Erfahrungen heraus sind sie besser dran, wenn sie sich schnell etwas sichern, statt aus Höflichkeit als Letzter zu kommen und dann vielleicht leer aus zugehen.
Dementsprechend ringen sie sich um die Spenden. Hier gilt: Wer zuletzt kommt kriegt nichts mehr.
Nachdem die Kinder an diesem Sonntag den Second Hand Laden durchforsten konnten, gab es draußen auf dem Hinterhof eine warme Mahlzeit für alle. Für die Kinder ist dies immer etwas Besonderes, zu Hause kommen warme und leckere Mahlzeiten eher weniger oder gar nicht vor. Anschließend ans Essen begann das Programm, jeden Sonntag dasselbe: ein paar kurze Spiele und danach Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Ab 14 Uhr waren wir jedoch von einer rumänischen Familie eingeladen und verabschiedeten uns deshalb für den Rest des Nachmittags. Abends kamen wir wieder und brachten die Kinder nach dem Abendgottesdienst in Arad wieder nach Felnac. Wir aßen bei Ovi und Florina zu Abend, gingen dann aber auch relativ früh, weil wir auch schon so viel unterwegs waren.
Am Nächsten Tag standen wir früh auf, holten die Sachspenden aus dem Hänger und verstauten diese im Hinterhof. Danach ging es zu einem Kaufhaus mit Baumaterialien, in dem wir Styroporplatten, eine Art löchrigen Teppich und Zementpulver kauften. Diese sollten die letzte Fassade nach außen hin eines kleinen Hauses in Felnac werden. Nachdem der Anhänger voll war ging es auf direktem Weg nach Felnac. Ab heute waren unsere kommenden Tage in zwei Aktivitäten eingeteilt: Vormittags Haus fertig stellen und nachmittags das Kinderprogramm.
In den nächsten drei Tagen beklebten (mit Zement) wir das Haus mit den Styroporplatten, befestigten die „Teppiche“ an den oberen Enden und verputzten diese ums ganze Haus, erstellten den „Dachboden“ und begannen den Boden fertig zu stellen. Einige der Kinder kamen schon vormittags und halfen uns eifrig bei den Arbeiten am Haus. Diese Kinder sind wenige von vielen aus dem Dorf, die nicht zur Schule gehen. Ob sie nicht dürfen, aus finanziellen oder anderen Gründen nicht können ist unterschiedlich. Die einzige schulische Unterstützung, die sie hier bekommen, kommt von Florina. Sie besucht die Kinder dreimal die Woche und bringt ihnen wie am Sonntagnachmittag lesen, schreiben und rechnen bei.
Ab 16 Uhr kamen dann die anderen Kinder, meist kamen um die 50 Mädchen und Jungen im Alter zwischen 3 und 10 Jahren. Die Älteren waren entweder den Eltern bei der Arbeit auf dem Feld helfen, selbstständig als Hirten oder Schäfer unterwegs oder, die Mädchen, schon verheiratet.
So begannen wir mit den Kleinen die einfachsten Spiele zu spielen. Diese waren, wie sich heraus stellte, die Besten. Alles was etwas anspruchsvoller war, wurde größtenteils nicht verstanden und dann schnell langweilig. Wir sangen viel mit den Kindern, lasen ihnen Geschichten vor, die ihnen übersetzt wurden, und verbrachten einfach nur Zeit im sitzen mit Haaren flechten und Klatsch- Spielen zusammen.
Einen anderen Tag planten wir mit den Kindern zu basteln, was komplett anders lief als geplant. Das liebliche und verträumte basteln wie wir es von unsern Kindern hier kennen gibt es dort nicht. Ab der Materialienausgabe begann der Krieg um den Filz, die Kügelchen, Stifte und einfach alles. Eine ähnliche Situation wie die, von der Ovi uns erzählte, als er das erste mal die Tüten mit Kleidung verteilte. Alle bettelten und drängten, keines der Kinder konnte ruhig abwarten bis es das bekam was es noch brauchte, obwohl sie alle wussten, dass wir für jede Figur die es zu basteln gab genug Material hatten. Als schließlich jeder ein fertiges Püppchen hatte war ein Grinsen breiter als das andere und einer nach dem anderen kamen sie zu mir und zeigten mir stolz ihr Püppchen. Hier wären
sich vielleicht auch einige kleine Jungs zu cool gewesen ein Püppchen mit pinkem Mantel und Glitzerschal zu basteln, doch Probleme wie diese kennen die Kinder dort nicht.
Mehrere male gingen wir mit den Kindern spazieren und so konnten wir auch in ein paar Häuser gucken. Die Häuser bestanden fast alle aus nur zwei Räumen. Zwei Räume, die für eine beispielweise siebenköpfige Familie reichten. Ein Schlafraum für alle und ein, meistens der kleinere Raum, der zum Kochen und Lagern diente. Die Hygienevorsorge ist hier ein extrem großes Problem. Niemand dort putzt sich die Zähne, alle haben Löcher, vergilbte oder weggegammelte Zähne. Wenn eine Familie finanziell schon etwas besser dar steht als andere, hat sie einen eigenen Wasserbrunnen auf ihrem Hof, wenn nicht muss jemand ins Dorf laufen und in Flaschen Wasser mitbringen. Fast alle Familien
haben Hühner frei auf ihrem Grundstück. Alles ist dreckig, kaputt und unordentlich, unvergleichbar mit unseren Lebensverhältnissen. Es sind schon Bilder, die man sonst mehr aus Zeitschriften oder Dokumentationen kennt und man sollte im Kopf behalten, dass Rumänien nur wenige Stunden von Deutschland entfernt in Europa liegt. Ganz deutlich wird einem hier nochmal klar, wie unnötig und lächerlich ein Großteil unserer Problem hier in Deutschland eigentlich ist.
Es gab noch so viele ungewohnte, schöne und erschreckend traurige Situationen über die man erzählen könnte, aber ich denke einen kleinen Einblick hat man schon von den Beschreibungen und Bildern bekommen.
„Irgendwie“ hatte ich mich auf ein solches Bild und diese Verhältnisse eingestellt, die Armut und der Gegensatz zu unserem Leben, deswegen war ich kaum erstaunt von den Verhältnissen, erschrocken habe ich mich dennoch. Egal wie vorbereitet man ist, denke ich, ist es doch nochmal ein Unterschied, ein solches Leben direkt mitzubekommen. Deshalb fasziniert es mich noch immer am meisten, wie glücklich die Kinder waren. Über jede Kleinigkeit haben sie sich gefreut und diese wertgeschätzt. Sie konnten nicht viel, wussten nicht viel und hatten nicht viel, und trotzdem strahlten sie den ganzen Tag. Obwohl sie uns fünf alle nicht kannten kamen sie am ersten Tag an und nahmen uns bis zum letzten durchweg an den Händen, vertrauten uns und ließen sich auf uns ein. Es macht einen traurig zu wissen, dass es hier nicht die Mamas oder Kindergärtnerinnen sind, die sich um ihre Schützlinge kümmern, sondern die Kinder selbst, die sich untereinander erziehen und unterstützen.
Im Nachhinein fragt man sich ja natürlich, ob und wenn ja, was man in irgendeiner Form bewirkt hat, ob irgendjemand etwas davon hatte. Dass ich die Welt nicht verändert habe weiß ich und dass das Armband was ich mit den Kindern gebastelt habe auf ihre Lebenslaufbahn keinen positiven Einfluss hat weiß ich auch. Dennoch denke ich, dass es den Kindern auf irgendeine Weise Hoffnung und Lebensfreude gegeben hat. Extra für sie, wurden in Deutschland viele Spenden gesammelt, auf sie aufmerksam gemacht und extra für sie sind wir mit dem Anhänger runtergefahren und haben ein paar Tage unseres Alltags liegen lassen, um mit ihnen Zeit verbringen zu können. Es ist bestimmt individuell unterschiedlich wie es von jedem aufgenommen und in Erinnerung behalten wird, aber
nun weiß ich wo die Hilfe ankommt, die von Ihnen geleistet wurde, und ich kann sagen, dass ich mir sicher bin, dass alle Jacken, Schals, Mützen, Schuhe und Taschen in guten und netten Händen ankommen.
Danke hier dann nochmals für alle Sachspenden!