Am vergangenen Mittwoch durften wir erneut den Holocaust-Überlebenden Tswi Herschel in Emden empfangen. Zum ersten Mal begleitete ihn außerdem seine erwachsene Tochter Natali, die ebenfalls in Israel lebt und seit einiger Zeit mit ihrem Vater an verschiedenen Orten ihre Familiengeschichte erzählt.
Tswi, geboren am 29. Dezember 1942 in Zwolle in den Niederlanden, überlebte den Holocaust versteckt bei einer nicht-jüdischen Familie. Als er gerade einmal vier Monate alt war, trafen seine jüdischen Eltern die Entscheidung, ihren ersten und einzigen Sohn der protestantischen Familie de Jongh anzuvertrauen. Damit retteten sie sein Leben. Nico und Ammy Herschel selbst wurden kurz darauf in das Durchgangslager Westerbork deportiert und schließlich im Vernichtungslager Sobibor von den Nazis ermordet. Tswi, ihr einziger Sohn, überlebte.
Heute reist der 78-Jährige unermüdlich in der Welt umher und erzählt immer wieder seine Geschichte, wofür er u.a. das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland trägt. Auch in seiner Präsentation im Rummel des Emder Rathauses erzählte er seine Geschichte und die seiner Eltern und Großeltern. Er sprach offen über die Traumata, die er bereits in früher Kindheit erleiden musste. Während seine Eltern und ein Großteil seiner Familie von den Nazis ermordet wurde, überlebte Tswi “versteckt” in einer nicht-jüdischen Familie. Aber er überlebte nicht nur – er lebte in einer Familie, die ihn wie einen eigenen Sohn aufnahm und sehr liebte. Diese Sicherheit währte jedoch nicht lange. Nach dem Ende des Krieges holte seine Großmutter väterlicherseits, die ebenfalls versteckt überlebt hatte, Tswi zu sich und entriss ihn der protestantischen Familie, die er bis zu seinem neunten Lebensjahr für seine biologische Familie hielt. Eine große Umgewöhnung und ein Trauma für den jungen Tswi.
Dies nur als kleiner Einblick in die spannende und berührende Geschichte Tswi Herschels.
Neben den Erzählungen über seine Familie sprach Tswi u.a. mahnend über gefährlichen aktuellen Links- und Rechtspopulismus.
Im Anschluss an Tswis Vortrag hielt seine Tochter Natali eine Präsentation über das Leben der “zweiten Generationen” – der Kinder von Holocaust-Überlebenden. Unter Tränen sprach sie über die Leere ihres Stammbaumes. So fiel ihr schon als Kind auf, dass sie im Gegensatz zu ihren nicht-jüdischen Altersgenossen nicht von ihren Großeltern vom Kindergarten abgeholt wurde. Die Eltern ihrer Eltern, Onkel, Tanten und alle Menschen, die sonst noch zu einer Familie gehören – fast alle wurden während der Shoah von den Nazis ermordet.
Das hinterlässt Spuren, bis heute und bis weit in die Zukunft. Laut Natali braucht es vier Generationen, um wieder einen vollen Familienstammbaum aufzubauen, inklusive Urgroßeltern, Großeltern, Tanten, Onkel… Ihre jugendlichen Kinder und die Kinder ihrer Schwester Mirla bilden heute die “dritte Generation”.
Diese Eindrücke vermittelten noch einmal einen ganz besonderen, traurigen Blick auf die Bedeutung der Shoah für heute.
Als besondere Ehrengäste waren am Mittwochabend Albrecht Weinberg und Arie Windmüller mit seiner Frau Shosh und seinem Cousin um einige Ecken Claudio Simon anwesend.
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Bericht: Mia Bredebusch