Der nächste Stopp dieser sehr besonderen Reise nach Holland, war Zwolle, die Geburtsstadt Tswi Herschels. Dort angekommen zeigte uns Tswi zunächst die zwei Verlegestellen der Stolpersteine für seine Familienangehörigen.
An der ersten, die wir uns ansehen durften, liegen Steine für seine Großeltern Bernhard Weijel und Rebekka Weijel-Valk, sowie für seinen Onkel Jozef Weijel. Gerade der Stolperstein seiner Großmutter war für unsere Gruppe sehr interessant, da diese gebürtig aus Emden stammte.
Bernhard Weijel war seinerzeit geschäftlich in Emden unterwegs, wodurch er die Familie Valk und somit auch Rebekka kennenlernte. Nach ihrer Hochzeit in Emden zogen sie schließlich gemeinsam nach Zwolle und gründeten dort ihre Familie.
Die anderen Stolpersteine für seine Familie wurden auch in Zwolle verlegt, nämlich vor Tswis Geburtshaus. Dort liegen Steine für seine Eltern, Nico Louis Herschel und Malchen Herschel- Weijel, sowie für seinen Großvater Hermann Herschel. Vor Ort erzählte Tswi uns auch, warum er so genannt worden war. Anders als früher bei uns, geht der Tradition nach nicht der Name des Vaters auf das Kind über, sondern meist der eines verstorbenen Verwandten. In Tswis Fall war dies sein Großvater Hermann, der ungefähr zwei Monate vor seiner Geburt in Auschwitz umgebracht wurde. Seine Eltern übersetzten den Namen Hermann ins Hebräische, also Tswi. Außerdem wurde Tswi noch nach seinem Onkel Jozef benannt, der zum Zeitpunkt zwar noch lebte, aber bereits deportiert worden war. Er sagte, seine Eltern hätten es im Gefühl gehabt, dass er nicht mehr leben würde. Auch dieser Name wurde ins Hebräische übersetzt: Joseef. Allein der Besuch der Stolpersteine war sehr emotional, denn keiner von ihnen überlebte den Krieg und die Verfolgung: Rebekka Weijel-Valk und Hermann Herschel wurden in Auschwitz ermordet, Nico Herschel und Malchen Herschel-Weijel wurde das Leben etwa ein halbes Jahr nach Tswis Geburt in Sobibor genommen, sein Onkel Jozef wurde in Bobrek, einem Straflager
in Polen, umgebracht und Bernhard Weijel nahm sich noch in Westerbork das Leben. Ein grausames Trauerspiel. Innerhalb eines Jahres eine komplette Familie einfach ausgelöscht.
Und doch, irgendwie hat Tswi dennoch „Glück“ gehabt. Natali, Tswis Tochter, die uns ebenfalls begleitete, stand vor dem Haus ihrer Großeltern, schaute auf die Steine und fragte ihren Vater dann schließlich, was der Anblick dieser Steine in ihm auslösen würde. Etwas leiser fügte sie
hinzu, dass dort nun auch ein vierter Stein mit seinem Namen drauf hätte liegen können und alle Anwesenden nie hier gestanden hätten, sie selbst eingeschlossen. „Da möchte ich nicht drüber nachdenken, denn durch den Mut meiner Eltern, mich Fremden Leuten anzuvertrauen,
konnte ich leben. Ich habe es geschafft. Ich habe überlebt.“
Trotz dieses sehr ehrlichen Satzes hatte man das Gefühl, dass Natalis Frage alle zum Nachdenken angeregt hatte. Sie hatte im Grunde recht, viel Glück, eine mutige Entscheidung besorgter Eltern und nur der richtige Moment hatten dafür gesorgt, dass Tswi überlebte, dass er uns seine Geschichte erzählen konnte. Man mag über Schicksal, Zufall oder auch Glück denken, was man will, aber diese Momente sind es, die einem dem Leben doch irgendwie demütig gegenübertreten lassen. Wir lernen, jeden Tag. Über uns selbst, über andere, über das Leben an sich. Dennoch werden wir nie alles verstehen, aber wir können versuchen zu respektieren, wertzuschätzen und einander so fair zu behandeln, wie es möglich ist; damit allein kommen wir schon einen großen Schritt weiter in Richtung einer guten Welt.
Bericht: Laura Oldewurtel
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