„Ich singe weiter, bis es keine Nazis mehr gibt!“

Ein beeindruckender Abend: Zwei Stunden stand Esther Bejarano am Mittwoch auf der Bühne der Neuen Kirche, um aus ihrem Leben zu berichten und gegen Rassismus und Antisemitismus zu singen. Bei ihrem ersten Besuch in Emden las sie zunächst aus ihren Erinnerungen und schilderte dabei, wie sie dem Tod in Auschwitz entrinnen konnte: Als eine Akkordeonspielerin für das Mädchenorchester des Vernichtungslagers gesucht wurde, meldete sich die damals 18-Jährige, obwohl sie noch niemals zuvor auf diesem Instrument gespielt hatte. Sie erbat sich etwas Zeit zum Üben und wurde schließlich aufgenommen. Bejarano entkam damit dem Steineschleppen, ihrer vorherigen Zwangsarbeit, und damit sicherlich dem Tod. Fortan musste sie mit ihren Kolleginnen immer wieder musizieren: Ob zur Unterhaltung, beim Appell oder bei der Ankunft von neuen Zügen mit Deportierten – immer wieder mussten die Mädchen Märsche oder Schlager spielen, zynische Begleitmusik zum Grauen des Lageralltages.

Als Häftlinge mit „arischem Blut“ für Zwangsarbeit in einem anderen KZ gesucht wurden, meldete sich Bejarano erneut: Angesichts ihrer christlichen Großmutter konnte sie das Vernichtungslager verlassen, um für die Siemenswerke im Frauenlager Ravensbrück Schalter anzufertigen. Ein weiterer Glücksfall, denn dort konnte Esther bis kurz vor Kriegsende überleben. Als im April 1945 die sowjetischen Soldaten immer weiter nach Westen vordrangen, wurde das Lager geräumt und die Häftlinge auf einen Todesmarsch geschickt. Esther konnte entkommen und damit endgültig überleben: Sie wurde von amerikanischen Soldaten befreit. „Dieser Tag war für mich wie eine zweite Geburt“, so Bejarano.

Nach dem Krieg verließ Bejarano Deutschland: Bis 1960 hatte sie in Israel gelebt, bevor sie mit ihrem Mann und ihren Kindern zurückkehrte. In Hamburg eröffnete sie eine Boutique, in deren Nähe Anfang der Siebziger die rechtsextreme NPD einen Infostand aufbaute. „Ich sah, wie Neonazis ihre Flugblätter verteilten, wie sie auf Gegner einschlugen. Ich sah, wie die Polizisten daraufhin die Antifaschisten verhafteten. Das war zu viel für mich. Die Polizisten schützten die Nazis. Ich sagte denen, ich sei im KZ gewesen und ich könne nicht begreifen, dass sie die Nazis schützten. Da sagte einer der Polizisten, in Russland gäbe es auch KZs und außerdem sollte ich nach Hause gehen, sonst würde ich noch einen Herzinfarkt bekommen“, erinnerte sich Bejarano, die danach begann ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Seither besucht sie unermüdlich Schulen, nimmt an Demonstrationen teil und bezieht öffentlich Stellung gegen Antisemitismus und Rassismus.

Mit ihrem Sohn Joram am Bass und dem Rapper Kutlu Yurtseven von der Microphone Mafia, der inzwischen „eingeenkelt“ ist und zur Familie gehört, trat sie deshalb auch in Emden auf. Im Anschluss an ihre Lesung spielte das Trio vor der voll besetzten Neuen Kirche und sorgte dabei für viel Beifall und Begeisterung, die sich auch im Anschluss zeigte: Unermüdlich signierte Bejarano Bücher und CDs.

Am Folgetag besuchte die 93-Jährige das Max-Windmüller-Gymnasium: Nach einer erneuten Lesung aus ihren Erinnerungen stand sie den Zehnt- und Elftklässlern Rede und Antwort. Immer wieder hätten sich Frauen in Auschwitz in den Elektrozaun gestürzt, um sich das Leben zu nehmen. „Für mich wäre das nie infrage gekommen!“, so Bejarano auf die Frage, ob sie im Lager jemals an Suizid gedacht habe. „Ich wollte am Leben bleiben, um davon zu erzählen, was man mit uns gemacht hat.“

Bericht zum Besuch von Esther Bejarano/ OZ vom 17.2.2018

NDR-Fernsehbericht Hallo Niedersachsen vom 15.2.2018

Fotos: Tobias Bruns